22/03/2020

Angst in Medien
Veröffentlicht von Sascha Heller

Wie Medien die Angst in der Gesellschaft beeinflussen

Schlechte Nachrichten im Fernsehen und Radio, dramatische Beiträge auf Facebook, dazwischen noch WhatsApp Bilder vom Bekanntenkreis und jeder Mensch sagt etwas Anderes: So oder so ähnlich sieht die Realität für Viele aus, wenn auf der Welt etwas Schlimmes passiert ist. Wir konsumieren Medien. Wir kriegen Angst.

Wie auch gerade in der globalen Situation zur COVID-19 (Coronavirus disease 2019). Auf allen möglichen Kanälen, von seriösen Zeitungen und Fernsehsendungen bis hin zu unseriösen Boulevardblättern und auch Social Media Beiträgen, gibt es im Sekundentakt neue Informationen. Das ist problematisch.

Medien und ihre Wirkung

Bevor wir uns inhaltlich mit der aktuellen Situation beschäftigen, braucht es theoretisches Hintergrundwissen: Medien, als umgangssprachliche Bezeichnung für Massenmedien (Zeitung, Radio, Fernsehen, Internet), sind ursprünglich institutionalisierte Informationskanäle. Gerade die um aktuelle Nachrichten beschäftigten Medien haben damit auch eine starke Gatekeeping-Rolle. Irgendeine Instanz innerhalb dieser Medien entscheidet, welche Informationen rausgehen und welche nicht. Diese Informationen bilden dann für die Rezipient*innen eine subjektive Realität. 

In der Medienwissenschaft gibt es den bekannten Spruch “Medien konstruieren Wirklichkeit”, der unter konstruktivistischen Ansätzen darauf zurückkommt und davon ausgeht, dass die Inhalte der Medien, die wir konsumieren, unsere wahrgenommene Realität formen. Wir gehen oft davon aus, dass beispielsweise die allabendlichen Nachrichten die Realität abbilden und uns informieren. Tatsächlich zeigen sie uns jedoch nur einen kleinen Ausschnitt aus einer bestimmten Perspektive: Diese jedoch formt dann unser Bild von der Realität.

Denken wir an Syrien und andere nordafrikanische Länder, dann denken wir – vor Allem dank unserer Nachrichten – meist an wüste Landschaften und zerstörte Städte. Auf gleiche Art und Weise lernen wir die Welt auch durch fiktive Medien kennen. Unser Bild von New York ist vielleicht geprägt durch die Serie “How I met your Mother”. Wir sammeln Wissen und bilden uns Meinungen auf Grundlage dessen, was Medien uns an Informationen vermitteln. Haben wir eine Meinung zu Angela Merkel? Ja. Kennen wir sie persönlich? Vermutlich nicht.

Dieses Bild unserer Realität, welches durch den Konsum von Medien geschaffen wird, nennt sich auch “Medienrealität”. Eine verkürzte Sicht auf die Realität, quasi durch die Brille der Medien.

Der Mensch und Medien

Dieser Umstand betrifft alle Menschen. Warum es also so explizit ansprechen, wenn es überhaupt für alle gilt? Wir alle atmen auch Sauerstoff und das ist nur selten einen Artikel wert.

Der (Medien)Psychologie wegen. Denn während wir alle den Gleichen Sauerstoff atmen, konsumieren wir nicht alle dieselben Medien. Die Nachrichten im ZDF oder lieber auf Sat 1? Lesen wir die TAZ, die FAZ oder die BILD? Informieren wir uns online auch bei ausländischen Medien oder konsumieren wir nur deutsche Medien?

Die Antworten auf diese wenigen Fragen ergeben bereits unterschiedliche, subjektive Medienwirklichkeiten bei den Rezipient*innen. Diese selektive Mediennutzung ist nicht nur eine reine Frage des Geschmacks, sondern auch unserer Lebensumstände und bereits vorhandener Meinungen. Wir neigen eher dazu, Medien zu konsumieren, die unser Wissen oder unsere Meinungen bestätigen.

Das nennt sich auch confirmation bias bzw. Bestätigungsfehler. Informationen werden eher so ausgewählt und aufgenommen, dass sie uns bestätigen.

Wichtig ist dies auch gerade für social media: Wir lesen und folgen eher Menschen, die das sagen und teilen, was wir sowieso schon denken. Das gibt uns das Gefühl, recht zu haben. Neues zu lernen bringt hingegen das Gefühl mit sich, etwas “nicht zu wissen” und wenn das auch noch entgegen unseres bisherigen Wissens geht, dann sind wir äußerst unmotiviert.

Stattdessen mögen wir nicht nur Informationen, die wir eigentlich bereits kennen, sondern auch emotionale Informationen, die besser im Kopf bleiben. Lieber eine dramatische Geschichte über eine Familie lesen als einen nüchternen Artikel mit ganz vielen Zahlen. Gleichermaßen – ebenfalls auf Grund von emotionaler Bevorzugung – nehmen wir auch lieber Informationen von nahestehenden, uns sympathischen Menschen auf, anstatt von fremden Menschen oder auch Nachrichtenmedien.

Alles in Allem sind es aber vor Allem zu viele Informationen. Die gesamte Welt ist für uns quasi erreichbar und diese Atmosphäre totaler Gleichzeitigkeit endet für uns oft in einer “Überdosis Weltgeschehen”. Deshalb greift unser Gehirn ganz automatisch auf zahlreiche Selektionsmechanismen wie u.a. Obige zurück. Sich dieser bewusst zu sein, hilft im Umgang mit den Informationen.

Die mediale Angst

Was genau hat das jetzt mit der aktuellen Situation zu tun?

Ganz einfach: Wir wissen über COVID-19 und die globale Lage nur, was wir in irgendwelchen Medien erfahren. Da wir es gewohnt sind, die Informationen, die unsere subjektive Realität formen, über Medien aufzunehmen, fällt es uns sehr leicht, auch in dieser Zeit vielen Informationen einfach Glauben zu schenken.

Vor Allem, wenn uns dieselbe Information ganz oft begegnet: Je öfter wir etwas in den Medien lesen oder hören, desto wichtiger und akuter erscheint es uns. Ob es aktuell noch andere wichtige Geschehnisse gibt außer des Coronavirus’? Wir sehen es kaum noch.

Was wir vor Allem – dank social media – sehen können, sind ganz viele Artikel und Informationen, die nicht von offiziellen Stellen bestätigt sind oder überhaupt auf tatsächlichen Fakten basieren. Statt einer Information findet eine Emotionalisierung statt. Leider formt auch dies unser Bild von der Realität. So glauben wir nach dem zehnten Foto (vielleicht sogar zehnmal dasselbe Foto!) eines leeren Supermarktregales, dass die Supermarktregale tatsächlich leer sind! Überall! Jedes Foto davon schürt im Individuum die Angst, bald nichts mehr zu haben. Er kauft also in seinem Supermarkt viel ein. Das Ergebnis: Tatsächlich leere Regale. Aber nicht auf Grund von Produktmangel oder Lieferengpässen, sondern auf Grund von medial geschürter Angst.

Das Gleiche auch bei allen anderen Informationen: Es häufen sich die einzelnen Geschichten über schwer erkrankte oder verstorbene Menschen und wenn eine Geschichte zehnmal geteilt wird, erscheint es uns wie zehn Geschichten. Die Gefahr wird dadurch viel größer wirken, als sie tatsächlich ist. 

Was dagegen hilft

Klingt komisch, ist aber so: Weniger Medien konsumieren. Medien und Informationen hinterfragen. Sich selbst hinterfragen: “Muss ich diesen zehnten emotionalen Artikel über die Todesgefahr durch das Coronavirus tatsächlich auf Facebook teilen?”

Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass die Realität, die in den Medien, die wir sehen, nicht alles ist. Die Häufigkeit eines Themas in den Medien ist nicht gleichbedeutend mit seiner tatsächlichen Gewichtungen für die eigene Realität. Wir dürfen und müssen lernen, auch mal Abstand von Medien und Informationen zu nehmen. Konsumiert nicht Alles, was euch begegnet. Konsumiert das, was euch begegnet, sorgfältig und auch kritisch. Hinterfragt Artikel, die euch den Virus als “Bioterrorismus durch China” verkaufen wollen. Nehmt die Lage ernst und hört den offiziellen Kanälen wichtiger Institutionen wie den Regierungen, der WHO usw. zu. Klickt Artikel, die emotionaler sind als sie informativ sind, einfach mal weg.

Wir sitzen zwar alleine zuhause, aber wir sind nicht alleine. Wir sind immer noch vernetzt und eine Gesellschaft, die da gemeinsam durchkommen kann und wird. In diesem Sinne: Stay safe. Stay healthy. Stay at home.

Nutzt die Zeit für ein gutes Buch, ein nettes Telefonat oder lernt irgendwelche neuen Dinge.